So viele Betroffene schreiben über Angst und Panikattacken, aber selten machen sich die meisten Ärzte Gedanken darüber, die Schilddrüse, Nebenniere, und Darmgesundheit genauer unter die Lupe zu nehmen. Das ist sehr bedauerlich. Stress und Muskelverspannungen können sich gegenseitig verstärken. Die progressive Muskelentspannung, auch progressive Muskelrelaxation (PMR) genannt, setzt genau hier an: Lockere Muskeln entspannen die Nerven und erleichtern dadurch die Stressbewältigung.
Was versteht man unter Progressive Muskelentspannung (PMR)?
Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson (Progressive Muskelrelaxation/PMR) ist eine wissenschaftlich fundierte und leicht zu lernende Entspannungstechnik. Sie wurde bereits in den 1920er Jahren vom Arzt Edmund Jacobson entwickelt. Dieser stellte 1929 fest, dass es Wechselwirkungen zwischen Muskelanspannung und seelischer Befindlichkeit, also Angst oder Erregung, gibt. Mit Muskellockerungen reduzierten sich auch die Angstgefühle. In der Ursprungsversion arbeitete Jacobson mit 30 Muskelgruppen. Heute praktiziert man vereinfachte Versionen der Übungen und kann daher in wenigen Sitzungen PMR erlernen. PMR eignet sich besonders für Menschen, die nicht ganz ruhig liegen möchten, um sich zu entspannen.
PMR bedeutet so viel wie fortschreitende, sich steigernde bewusste Muskelanspannung und -lockerung. Ziel ist es, den Körper durch die Übungen in den Zustand innerer Ruhe und tiefer Entspannung zu bringen.
Die Methode setzt an der Muskulatur an und beruht auf dem Prinzip von Anspannung und Entspannung: Stress oder Angst gehen mit einer reflexartigen Anspannung der Muskulatur einher, der Sympathikus wird aktiviert. Das ist jener Teil des vegetativen Nervensystems, der für Erregung und Aufmerksamkeit sorgt. Umgekehrt bewirkt eine Lockerung der Muskulatur ein Ruhegefühl. Das freut wiederum den Gegenspieler des Sympathikus, den Parasympathikus, der Teil des Nervensystems, welcher für Entspannung sorgt.
Mit der intensiven muskulären Entspannung wirkt PMR einer Stressreaktion entgegen. In fortgeschrittenen Lernphasen geht es darum, ähnlich wie beim Autogenen Training, sich den mit dem „Loslassen“ verbundenen Empfindungen bewusst zu werden, um auch auf diese Weise (z.B. im Alltag) entspannen zu können.
Zunächst werden nacheinander einzelne Muskelpartien in einer vorgegebenen Reihenfolge angespannt. Die Muskelspannung wird kurzgehalten und danach wird die Spannung gelöst.
Ganzheitlicher Grundgedanke bei Progressiver Muskelrelaxation
Ein entspannter Körper führt zu einem entspannten Geist. Auch hier geht es darum, den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen.
PMR kann auch nur als Prävention für Körper und Geist angewendet werden. Jegliche Art von Stress und seelischer Belastung verursacht in unserem Körper eine erhöhte Muskelanspannung. Wir kennen das – wenn es manchmal eng wird, „verkrampfen“ wir nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich und oft schaffen wir es nicht, die Situation oder den Konflikt für uns zufriedenstellend zu lösen. Es entwickeln sich zusätzlich noch Angstgefühle, wieder in eine spezielle Stresssituation zu kommen. Wiederkehrende Angstzustände schwächen auf Dauer unser Immunsystem und dadurch können diverse körperliche Beschwerden auftreten.
Nicht nur im Rahmen von Verhaltenstherapien, sondern auch bei arterieller Hypertonie, Kopfschmerzen, chronischen Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Stress, lassen sich mit Hilfe vom PMR gute Erfolge erzielen.
Hinzu kommt, dass PMR auch von der Wissenschaft gut durchleuchtet wurde. In 75 % der Studien konnten wesentliche Symptomverbesserungen, in 60 % darüber hinaus Verbesserungen des allgemeinen Wohlbefindens belegt werden. Aufgrund dessen und der relativ leichten Erlernbarkeit wird PMR als das für die klinische Praxis geeignetste Entspannungsverfahren bezeichnet.
Was bewirkt Progressive Muskelentspannung (PMR)?
Abbau von:
- Stress
- Angst
- Erregung (Herzklopfen, Zittern, Schwitzen)
- Innere Unruhe
- Nervosität
- Schlafstörungen
- Psychischen Störungen
Regulation von:
- Atmung
- Blutdruck
- Puls
- Darmtätigkeit
Nicht jede Übung hat einen für uns spürbaren Soforteffekt. Man unterscheidet dabei zwischen sofort spürbaren Auswirkungen und langfristigen Effekten, die sich erst mit zunehmendem Übungsfortschritt einstellen.
Unmittelbare Auswirkungen auf den Körper
- Der Parasympathikus, jenes Nervensystem, welches für Entspannung sorgt, wird aktiv.
- Die Herzfrequenz sinkt.
- Der Blutdruck sinkt.
- Die Pupillen verengen sich.
- Die Muskeln werden schwerer.
- Die Schultern sinken.
- Der Kopf kann bei den Übungen nach vorne kippen.
- Die Wahrnehmung ändert sich.
- Es kommt zu einem Gefühl der geistigen Frische.
- Es tritt ein angenehmes Gefühl der Entspannung ein.
Langfristige Auswirkungen auf den Körper
- Konzentration, Gedächtnis und Ausdauer werden gefördert.
- Die körperliche Wahrnehmung verbessert sich.
- Es kommt zu einer Sensibilisierung für körperliche, seelische und geistige Vorgänge.
- Positive Körperempfindungen werden intensiver wahrgenommen.
- Selbsterkenntnis und Selbstverantwortung werden trainiert.
- Die eigene Gelassenheit wird gefördert.
- Die Lebensqualität steigt.
Weitere Beispiele für PMR-Anwendungsgebiete, wo gute Erfolge erzielbar sind:
Körperliche Indikationen
- Herzkreislauf-Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck)
- Störung der Atemtätigkeit (z.B. Asthma)
- Magen-Darmbeschwerden (z.B. Reizdarm, Magenschmerzen, Durchfall und Verstopfung)
- Schmerzreduktion (z.B. Kopfschmerzen, leichte Rückenschmerzen, Verspannungszuständen, Phantomschmerzen)
- Blasenstörungen
- Hauterkrankungen (z.B. Neurodermitis)
- arthritische Beschwerden
Psychische Indikationen
- Ängste
- Stressreaktionen
- Phobien
- Unzufriedenheit
- Stimmungsschwankungen
- seelische Druckgefühle
- depressive Verstimmungen
- Depressionen
- Ein- und Durchschlafstörungen
- sexuelle Störungen
Durchführung der Progressiven Muskelentspannung (PMR)
PMR kann sowohl im Stehen, Sitzen oder Liegen durchgeführt werden. Im Grundverfahren werden 17 verschiedene Muskelgruppen angesprochen, die jeweils angespannt und wieder gelockert werden.
Tipps:
- Tragen Sie weite Kleidung, damit Sie sich ausreichend bewegen können und nicht eingeengt sind.
- Legen Sie für sich ein Zeitfenster von 30 Minuten und einen Raum fest, indem Sie sich wohl fühlen und ungestört sein können.
- Versuchen Sie bei den Übungen immer ruhig weiter zu atmen.
- Auch wenn es anfangs schwer ist, sich zu konzentrieren, versuchen Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder auf die jeweilige Muskelgruppe zu richten.
Jede Übung durchläuft dabei 5 Phasen. Im Detail verläuft das Entspannungstraining wie folgt ab:
- Phase 1 – Hineinspüren: Die ganze Konzentration fokussiert sich auf die betreffende Muskelgruppe.
- Phase 2 – Anspannen: Die jeweilige Muskelgruppe wird angespannt. Die Spannung soll deutlich spürbar, jedoch nicht krampfhaft sein.
- Phase 3 – Spannung anhalten: Die Spannung sollte 7-10 Sekunden aufrecht gehalten werden, wobei sich die Aufmerksamkeit stets auf die betreffende Muskelgruppe richtet.
- Phase 4 – Loslassen: Es folgt die Lockerung der Muskelspannung.
- Phase 5 – Nachspüren: Die Aufmerksamkeit richtet sich für weitere 30 Sekunden auf die betreffende Muskelgruppe. Die Wahrnehmung sollte ohne Bewertung erfolgen.
Übungsabfolge der 17 verschiedenen Muskelgruppen
Nachstehend finden Sie den gesamten Übungs-Komplex, wobei es durchaus effektive Kurzformen gibt, die weniger Zeit in Anspruch nehmen.
- Hand und Unterarm: Machen Sie mit Ihrer aktiven Hand (bei Rechtshändern ist das die rechte, bei Linkshändern die linke Hand) eine Faust.
- Aktiver Oberarm: Beugen Sie Ihren Ellenbogen mit geöffneter Hand nach oben.
- Andere Hand und Unterarm: Machen Sie mit der anderen Hand eine Faust
- Anderer Oberarm: Beugen Sie den anderen Ellenbogen mit geöffneter Hand nach oben
- Stirn: Ziehen Sie Ihre Augenbrauen nach oben und runzeln Sie die Stirn.
- Augen und Nase: Kneifen Sie die Augen zu und rümpfen Sie die Nase.
- Lippen und Kiefer: Pressen Sie die Lippen aufeinander und drücken Sie die Zunge an den Gaumen.
- Nacken und Hals: Neigen Sie den Kopf abwechselnd nach rechts und links.
- Schultern: Ziehen Sie die Schultern hoch.
- Bauch: Spannen Sie den Bauch an, ohne die Luft anzuhalten.
- Gesäß- und Beckenbodenmuskulatur: Spannen Sie die Gesäß- und Beckenbodenmuskulatur so fest wie möglich an.
- Rechter Oberschenkel: Heben Sie das Bein an.
- Rechter Unterschenkel: Drücken Sie Ihren Fuß nach oben.
- Rechter Fuß: Krümmen Sie die Zehen nach innen.
- Linker Oberschenkel: Heben Sie das Bein an.
- Linker Unterschenkel: Drücken Sie Ihren Fuß nach oben.
- Linker Fuß: Krümmen Sie die Zehen nach innen.
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